Vermögen und Einkommen in Frankreich und Deutschland im Vergleich
Verkehrte Welt: In Deutschland, das sich in Zeiten der Krise als Modell des vernünftigen Wirtschaftens präsentiert, liegt das Durchschnittsvermögen der Bürger deutlich unter dem der Franzosen. Dabei haben Deutsche ein höheres Einkommen.
Das jüngste Vermögensranking im Global Wealth Report der Credit Suisse bestätigte im Oktober 2017 erneut: Der durchschnittliche Franzose ist vermögender als der Durchschnittsdeutsche. Demnach liegt das durchschnittliche Vermögen Erwachsener (Bargeld, Wertpapiere, Immobilien) in Frankreich bei 263 399 Dollar, in Deutschland nur bei 203 946. Noch deutlicher zugunsten Frankreichs fällt der Unterschied bei den Medianvermögen aus: Es beträgt in Frankreich 119 720 Dollar, in Deutschland dagegen 47 091 Dollar. Für die Deutschen heißt das, die Hälfte der Haushalte verfügt über weniger als 47 091 Dollar Vermögen, die andere Hälfte über mehr.
Im Vergleich zu den Franzosen sind die Deutschen also relativ arm. Die überdurchschnittlich hohe Diskrepanz zwischen dem Durchschnitts- und dem Medianvermögen deutet Experten zufolge darauf hin, dass die Vermögen sehr ungleich verteilt sind. Indikatoren wie der Gini-Koeffizient scheinen dies zu bestätigen: Er ist in Deutschland höher als in Frankreich, dies bedeutet mehr Ungleichheit. Sind die Deutschen also nicht nur ärmer, sondern leben auch noch in einer Gesellschaft mit größerer Ungleichheit?
Die Zahlen der Statistiker sind wiederholt gedeutet und relativiert worden. Es wurde auf die geringeren Haushaltsgrößen und den überdurchschnittlichen Mieteranteil in Deutschland hingewiesen. Selbst die Ansprüche aus der Rentenversicherung - in Frankreich auch nicht zu verachten - wurden herangezogen, um zu erklären, warum die Deutschen weniger Vermögen bilden. Aber die Ergebnisse bleiben auch bei Berücksichtigung dieser Besonderheiten praktisch unverändert.
Diese Situation erscheint umso erstaunlicher, als ein Vergleich der Einkommen von Deutschen und Franzosen ein ganz anderes Bild ergibt: Sowohl die mittleren als auch die Medianeinkommen sind in Deutschland höher - zwischen 10 % und 20 % - und sie sind auch etwas gleicher verteilt als in Frankreich. Da drängt sich die Frage auf: Was wird aus diesen höheren Einkommen, wenn sie keine höheren Vermögen bilden?
Dazu muss man sich verdeutlichen, wie in beiden Ländern Vermögen gebildet wird. In Frankreich macht das Finanzvermögen, also Bargeld, Wertpapiere und Aktien, einen etwas geringeren Anteil am Vermögen aus, dafür wird mehr in Immobilien angelegt. Befeuert durch Steueranreize und die höheren Immobilienpreise sind Investitionen in diesem Sektor ein regelrechter Volkssport. In Deutschland hingegen wird deutlich weniger in Immobilien, dafür aber mehr in Sach- oder Betriebsvermögen investiert. Dies ist eine direkte Folge des hohen Anteils erfolgreicher mittelständischer Familienunternehmen, die über mehrere Generationen geführt werden. Das Vermögen steckt hier im Unternehmen. Dass dies aber auch Gefahren mit sich bringt, hat die Eurokrise eindrucksvoll gezeigt: Forderungen gegenüber Kunden aus finanzschwachen Ländern können im Krisenfall ausfallen.
Deutsche Privatleute, Banken und Unternehmen haben schon immer über zahlreiche Vermögenswerte im Ausland verfügt. In den letzten Jahren ist dieser Posten aber - unter anderem als Folge der Währungsunion - sprunghaft angestiegen. Im Jahr 2017 hielten die Deutschen 1 771 Milliarde Euro an Vermögenspositionen netto im Ausland - dies entspricht 41 % der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung.
Als problematisch in der Vermögensbildung hat sich das deutsche Anlageverhalten erwiesen: Die deutschen Sparer haben entweder einen Hang zu Bargeld und zahlen immer noch auf Sparkonten mit Minimalzinsen ein - oder sie setzen auf höchst riskante Anlagen im Ausland. Eine fatale Mischung, sowohl für Privatinvestoren als auch für professionelle Anleger: So kam es zu den atemberaubenden Verlusten der deutschen Landesbanken in der Finanzkrise.
Auf rund 600 Milliarden Euro hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die in den Jahren 2006 bis 2012 erlittenen Vermögensverluste im Ausland geschätzt. Links des Rheins war man in den letzten Jahren pragmatischer: Anlagen in rentablen Immobilien und Lebensversicherungen, die in Frankreich nichts anderes als Sparpläne mit Versicherungsschutz sind - der Zinssatz des Livret A wird vom französischen Wirtschaftsministerium immer deutlich über dem Marktzins festgesetzt - stachen das deutsche Anlageverhalten aus. Seit 2000 hat sich so das Durchschnittsvermögen der Franzosen fast verdreifacht, während es sich in Deutschland nur gut verdoppelt hat.
All dies betrifft natürlich in erster Linie die mittlere und höhere Einkommensschicht. Aber auch hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: So zählt Credit Suisse in Frankreich 2,2 Millionen Millionäre, rechts des Rheins 1,7 Millionen. In Frankreich gibt es also mehr Reiche. Wie ist dies mit einer höheren Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland vereinbar? Diese erklärt sich mit der in Deutschland größeren Zahl Ultrareicher. Credit Suisse zählt in der Vermögenskategorie ab 500 Millionen Dollar in Deutschland 131 Personen, in Frankreich aber nur 56. Deren Vermögen sind teilweise so hoch, dass sie die gesamte Statistik verzerren. Rechnet man diese meist sehr zurückgezogen lebenden Personen heraus, ist die deutsche Vermögensverteilung fast vergleichbar mit der in skandinavischen Ländern. Was die Einkommensungleichheit betrifft, so zeigen sich hier deutlich die Früchte des Aufschwungs: Wie aus OCDE-Zahlen hervorgeht, klafft seit 2007 die Schere in Deutschland weniger weit auseinander, in Frankreich hingegen geht sie auf.